Die Elternhaftung (Aufsichtspflichtverletzung)

Der allgemeine Ausspruch, "Eltern haften für ihre Kinder" bedarf gerade in verkehrsrechtlichen Fällen besonderer Aufmerksamkeit. Die ausschlaggebende Norm für eine etwaige Haftung der Eltern für ihre Kinder, soweit nicht eine Haftung aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung oder einer Nebenpflichtverletzung aus einem Vertrag streitgegenständliche ist, ist § 832 BGB, welcher folgendes regelt:

 „(1) Wer kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die wegen Minderjährigkeit oder wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustands der Beaufsichtigung bedarf, ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den diese Person einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn er seiner Aufsichtspflicht genügt oder wenn der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würde.

 (2) Die gleiche Verantwortlichkeit trifft denjenigen, welcher die Führung der Aufsicht durch Vertrag übernimmt.

Die Haftung des Aufsichtspflichtigen ist keine verschuldensunabhängige (Gefährdungshaftung), so dass nicht automatisch der Aufsichtspflichtige für das Fehlverhalten des Kindes einzustehen hat. Vielmehr setzt die Haftung der Eltern für ihre Kinder unter anderem voraus, dass ihnen ein eigenes Verschulden vorgeworfen werden kann, was in der Praxis zumeist auf einem Unterlassen von Aufsichtspflichten/Handlungen beruht, welches ursächlich der Grund für eine etwaige Schädigung eines Dritten gewesen ist.

Die Besonderheit der gesetzlichen Regelung besteht jedoch darin, dass gemäß § 832 Abs. 1 Satz 1 BGB im Schadensfall zum einen vermutet wird, dass die Eltern ihre Aufsichtspflicht schuldhaft verletzt haben, indem sie die im konkreten Fall notwendige Handlung unterlassen haben und zum anderen darin, dass die Verletzung der vorgeworfenen Aufsichtspflicht im ursächlichen Zusammenhang zu dem entstandenen Schaden steht. Gegen diese gesetzlichen (widerlegbaren) Vermutungen steht den Eltern der Entlastungsbeweis offen. Im Falle das den Eltern dieser Entlastungsbeweis nicht gelingt oder sie diesen gar überhaupt nicht antreten, bleibt es im Ergebnis tatsächlich in praktischer Hinsicht dabei, "Eltern haften für ihre Kinder".

Welche Anforderungen an die Aufsichtspflicht gestellt werden und inwieweit in einem etwaigen streitigen Verfahren der dahingehende zu führenden Beweis möglich ist und letztendlich gelingt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

Der Umfang der Aufsichtspflicht der Eltern hängt von dem Maß der gebotenen Aufsicht ab, welche sich nach dem Alter, der Eigenart und dem Charakter des Kindes sowie nach der Voraussehbarkeit des schädigenden Verhaltens bestimmt. Hierbei muss zur Bestimmung des allgemeinen Maßstabes immer hinterfragt werden, was für zumutbare Maßnahmen von verständigen Eltern unter Zugrundelegung von vernünftigen Anforderungen in der konkreten Situation verlangt werden können, um die Schädigung Dritter durch ihr Kind zu verhindern. Ausgehend hiervon wird jeder Schadensfall seine Besonderheiten haben, welche nicht nur durch die örtlichen Gegebenheiten des Unfallortes, sondern auch durch das Verhalten des Kindes in der Vergangenheit sowie der Handlungen der Eltern zur Beeinflussung und letztendlich Vermeidung von etwaigen Verletzungshandlungen des Kindes gegenüber Dritten geprägt ist. Da es keine allgemeinen Grundsätze gibt, sollen nur zwei beispielgebende Entscheidungen aus der Rechtsprechung hier dargestellt werden:

1. Neunjähriges radfahrendes Kind (OLG Oldenburg, Urteil vom 4.11.2004, Akz.: 1 U 73/04)

Das radfahrende Kind hat in diesem Fall mit seinem Fahrrad rechtwinklig nach links die Straße zu überqueren versucht und dabei einen Motorradfahrer übersehen und gerammt. Die Klage des Motorradfahrers auf Schadensersatz wurde abgewiesen, da das Gericht davon ausgeht, dass üblicherweise Kinder zu Beginn der allgemeinen Schulpflicht mit 6 Jahren an der Teilnahme im Straßenverkehr herangeführt und gewöhnt werden, wobei die Verkehrsteilnahme als Fußgänger und die Zurücklegung des Schulweges ohne der Eltern vordergründiges Ziel dessen ist. Dem schließt sich in der Regel die Teilnahme des Kindes als Radfahrer im Straßenverkehr an, soweit das Kind das Radfahren technisch beherrscht und die wesentlichen Verkehrsregeln erlernt hat. Soweit die Eltern sich durch entsprechende Kontrollen vergewissert haben, dass ihr Kind sich verkehrsgerecht verhält, dürfen sie von einem verkehrsgerechten Verhalten ihres Kindes im Straßenverkehr ohne eine etwaige Beaufsichtigung ausgehen. Unter Zugrundelegung dessen geht das Gericht davon aus, dass es einer gesicherten Rechtsprechung entspricht, dass jedenfalls ein achtjähriges Kind, welches ein Fahrrad sicher zu fahren vermag, über die Verkehrsregeln unterrichtet wurde und sich über eine gewisse Zeit im Verkehr bewährt hat, einer Beaufsichtigung durch die Eltern nicht mehr bedarf, wobei im Einzelfall dies etwa für Fahrten zur Schule oder sonstigen bekannten geläufigen Wegen angenommen werden kann. Da den Eltern im vorliegenden Fall kein Vorwurf zu machen war, wies das Gericht die Klage ab.

2. Kontrollen der Eltern sind nicht nötig, wenn ein fast 9 Jahre altes Kind seit über einen Jahr beanstandungsfreie mit seinem Fahrrad den Schulweg fährt (Landgericht Osnabrück, Urteil vom 17.05.2005, Akz.: 5 S 134/05)

Im vorliegenden Fall hatte das Kind mit seinem Fahrrad auf dem Weg zur Schule einen Verkehrsunfall schuldhaft verursacht. Das Gericht wies die Klage des Geschädigten ab, da das Kind unstreitig seit über einem Jahr problemlos mit dem Fahrrad den Schulweg allein bewältigt hatte und hierbei es zu keinerlei Schadensereignissen oder Vorkommnissen gekommen ist. In diesem Prozess wurde zudem der Beweis durch die in der Vergangenheit erfolgten Belehrungen und Kontrollen durch die Eltern geführt, so dass nach Überzeugung des Gerichts fest stand, dass die Eltern von einem verkehrsgerechten Verhalten ihres Kindes ausgehen konnten und durften. Etwaige Instruktionsmängel der Eltern stellten sich aufgrund der erfolgten Beweisaufnahme nicht als gegeben heraus, wobei es dem Erziehungsauftrag der Eltern, ihr Kind zu einen eigenverantwortlichen Verhalten zu erziehen, zuwiderlaufen würde, wenn man von ihnen verlangen würde, dass das zum Unfallzeitpunkt fast neunjährige Kind ständig zu überwachen wäre.

Aufgrund der Tatsache, dass bei der Frage einer etwaigen Haftung der Eltern die Gesamtumstände in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht umfassend zu würdigen sind, sollte im Streitfall anwaltlicher Rat in Anspruch genommen werden. Ein Rechtsanwalt wird Sie unter Würdigung aller wesentlichen Tatsachen darüber beraten, inwieweit die Verteidigung gegen die Schadensersatzforderung eines Dritten Aussicht auf Erfolg bietet und Ihnen zu dem nicht nur über das Prozess- sondern auch über das Kostenrisiko im konkreten Fall beraten.